Alois Geisslhofer
Der Vater stammt aus einer Südtiroler Familie, die Mitte des 17. Jahrhunderts infolge der kleinen Eiszeit ihre Heimat verlassen musste. Im dortigen Hochgebirge, wo man die „Geissen“ weidete, wuchsen damals die Gletscher stark an, wodurch in Folge die Bergbauern verarmten. Durch Vermittlung der Diözese Passau, deren Einzugsgebiet bis St. Pölten reichte, wurden sie nach Pyhra umgesiedelt, da nach der 2. Türkenbelagerung viele Bauernhäuser rund um Wien verwaist waren und neu besiedelt werden mussten.
Christine Kupelwieser
Die Familie der Mutter entstammt genetisch ganz unterschiedlichen Völkern. Der väterliche Kupelwieser Zweig kam aus Südtirol, wo ein Vorfahre im Spanischen Erbfolgekrieg gegen die Bayern gekämpft hatte. Belohnt mit einer Prämie, ließ er sich Anfang des 18. Jahrhunderts mit seinen Söhnen im Triesting Tal bei Wien nieder, wo er eine Blechgeschirr-Produktion etablierte. Einer dieser Söhne war am Bau des Wiener Neustädter Kanals beteiligt, dessen Sohn wiederum begann Blechtassen im Familienunternehmen zu bemalen – aus ihm wurde der berühmte Maler und Schubert Freund Leopold Kupelwieser. Leopolds vier männlichen Nachkommen wurden Stipendien gewährt, so studierten die Söhne Paul (der Gründer des Inselparadieses Brioni), Franz und Max Montanistik, Carl entschied sich für Rechtswissenschaften und stieg in der Donaumonarchie durch Aktienhandel zu einem Eisenmagnaten auf. Verheiratet mit Bertha Wittgenstein hatte er die Kinder Paula, Hans und Ida. 1906 ehelichte Hans Kupelwieser Christines Mutter Polya „Pauline“ Gorodetzky, aus einer Familie wohlhabender jüdisch-moldawischer Weinhändler, die 1904 aufgrund der Judenpogrome von Kischinau nach St. Petersburg gezogen und von dort nach Pyhra und Paris ausgewandert waren. Gemeinsam mit seinen beiden Schwestern besaß er Berthas Mitgift, das 200 ha große Gut Kyrnberg in Pyhra (wo auch eine Käse-Delikatesse erzeugt wurde) und in Lunz am See ein großes, fast unerschlossenes alpines Jagdgut mit angeschlossener Fischerei und etwas Land- und Forstwirtschaft.
Bertha (geb. Wittgenstein) und Carl Kupelwieser
Carl Kupelwieser (li) mit Tochter Paula, Sohn Hans, Ehefrau Bertha (geb. Wittgenstein) und Tochter Ida, ca. 1900
Kupelwieserische Käse-Delikatesse, erzeugt im Gut Kyrnberg
Polya und Hans Kupelwieser mit Sohn Peter (re) am Lunzersee, ca. 1930
Familiengeschichte durch dramatische Zeiten hindurch
Alois Geißhofer und Christine Kupelwieser, beide in Pyhra aufgewachsen, kannten sich vom Sehen, wenn er die Milch in der Früh mit dem Schubkarren in den Ort brachte und sie auf derselben Straße mit den Fahrrad nach St. Pölten ins Gymnasium fuhr.
Nach der Weltwirtschaftskrise 1929 und dem verlorenen 1. Weltkrieg war das Aktienvermögen der Kupelwieser bereits dahin geschmolzen und beide Güter etwa zur Hälfte verschuldet. Es war geplant eines zu verkaufen, um das andere zu entschulden. Christine versuchte der familiären Depression zu entfliehen, indem sie den sportlichen und musikalischen Aktivitäten der Jugendbewegung „Wandervogel“ – die aber in den 1930er Jahren bereits nationalsozialistisch beeinflusst war – beiwohnte.
Alois fühlte sich dem Ständestaat verpflichtet, da Gerüchte kursierten, dass die Sozis bald alle Bauernhäuser anzünden würden. Auch waren ihm die verfluchten „Nazi-Buam“ verhasst, die damals schon erste Terroraktionen organisiert hatten. Diese wiederum waren jedoch zum Teil alte „Wandervogel“-Jugendfreunde Christines und von Österreichs Anschluss an Hitler-Deutschland begeistert. Alois war es weniger. Zuvor vom Wehrdienst befreit, um dem erkrankten Vater am Bauernhof helfen zu können, wurde er 1938 sofort zum Militär einberufen und im September 1939 nach Polen an die Front geschickt. Durch manch schlimme Gräueltat, deren Zeuge er dort wurde stark traumatisiert, ging es weiter nach Frankreich, wo ihm Mitte 1940 der kleine Finger der linken Hand angeschossen wurde. Glück im Unglück galt er ab dann als untauglich und musste so nicht mehr nach Russland einrücken.
Alois Geisslhofer (oben links) als Soldat in Polen, 1939
Unterdessen galten im Nazi-Deutschland die Kupelwieser-Geschwister, also auch Christine, als jüdisch, da sie über ihre moldawische Mutter, aber auch über ihre sephardisch-jüdische Großmutter Bertha (aus der assimilierten jüdischen Wittgenstein-Dynastie) einen großen Anteil an „jüdischem Blut“ besaßen. Auf Initiative ihrer Wandervogel-Jugendfreunde, die Kontakte zu einflussreichen Nazikreisen besaßen, konnte erreicht werden, dass sie schließlich mittels „Gesichtsvermessung“ ihrer Fotos durch einen Dachauer Nazi-Wissenschaftler dennoch als arisch eingestuft wurden. Nur die Kombination aus einer völlig absurden Rassentheorie und Nazi interner Korruption hatte sie überleben lassen. In Folge führte dies innerhalb der Familie zu einer fast vollständigen Verdrängung, ausgelöst durch jahrzehntelange Scham- und Schuldgefühle.
Während des Krieges ging der Familienbesitz Kyrnberg in Pyhra durch eine als Verkauf getarnte Erpressung an den Gauleiter Hugo Jury verloren. Mit Kriegsende beschlagnahmte es die Sowjet-Armee als „deutsches Eigentum“ und danach wurde es ohne genauere Nachforschung einfach dem Land Niederösterreich zugesprochen. Die verbliebene Lunzer Immobilie war deshalb bis lange nach dem Krieg noch immer mit Schulden belastet.
In der Zwischenzeit hatte sich Christine in den 1946 aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Alois verliebt, der ihr als Nachbar im Stall und am Feld oft geholfen hatte. 1949 heirateten sie, 1950 wurde ihr Sohn Hans geboren, 1953 folgte Sohn Alois jun. († 2020).
Christine (Nina) Geisslhofer geb. Kupelwieser am Hof bei Pyhra, ca. 1953