Aufgewachsen am Bauernhof meines Vaters, streifte ich als Kind mit meinem Hund Alfi gerne durch die Natur, musste aber auch bei der Arbeit der Eltern mithelfen. Oben am Waldrand waren noch Schützengräben vom Weltkrieg, dorthin lief ich dann immer, wenn mir die Erwachsenen auf die Nerven gingen. Die Mutter sorgte sich jedes Mal wegen möglicher Granaten, die auch schon öfter explodiert waren. Dahinter lag das große Gut Kyrnberg, das jetzt von der NÖ-Landwirtschaftsschule bewirtschaftet wird und welches uns früher mal gehört hatte. Mein Vater fluchte, dass sich dort die Politiker fette Posten geschaffen hätten, aber sich nicht um die Sorgen der einfachen Leute kümmerten.
Dann, in der Mittelschule in St. Pölten wurde ich als 12-jähriger Schüler eigenartigerweise als „Jud“ diskriminiert und von den Mitschülern gemobbt, was ich überhaupt nicht verstanden hatte. Aus dem Religionsunterricht wusste ich nur, dass die Juden Jesus getötet hätten, aber dafür konnte ich ja nun wirklich nichts …
In den Sommerferien, in Lunz am See, bei meinen Verwandten, der Familie Kupelwieser, war es immer sehr schön. Mein Bruder und ich wanderten mit der Mutter am Berg, ab und zu kam man an verlassenen Hütten vorbei, wo noch verrostete Motorenteile lagerten. Angeblich ließ Hitler seine Panzermotoren über eine Materialseilbahn hinaufbefördern, um sie dort auf die Kälteverträglichkeit der Motoröle prüfen zu lassen. Das war in der Senke des Grünlochs, auf 1300 m, unterhalb des Dürrensteins, wo sich durch Temperaturumkehr in eisigen Winternächten manchmal ein Kältesee bildete, in dem dann minus 50 Grad gemessen wurden …
Das Schloss Seehof in Lunz, wo Mutter noch einen sechstel Anteil besaß, war vornehmer als der Bauernhof, aber die Leute etwas steif und man stritt oft heftig über Finanzen, Schulden und was weiß ich noch. Früher wären sie halt reich gewesen, jetzt sei alles so mühsam. Aus den Kindern aber – also aus uns – sollte dann später jedoch wieder „was“ werden! So begann ich 1968 das obligate Studium in Wien.
Doch dem Zeitgeist entsprechend wurden aus uns bald „linke Hippies“, die sich mehr über den Hunger und die Ungerechtigkeiten in der Welt sorgten und ständig die Professoren beim Unterricht unterbrachen, als große Karrieren anzustreben. So schloss ich mich 1973 dann auch gleich einer „Brigade“ nach Kuba an. Dort arbeiteten wir am Bau einer Landarbeitersiedlung und diskutierten über deren „tropischen Sozialismus“ im Gegensatz zum Neokolonialismus im übrigen Südamerika. Abends schlurften wir Cuba Libre und Daiquiri und tanzten mit den Genossinnen Salsa, Son und Merengue zu afro-kubanischen Rhythmen.
Zurück in Lunz zeigte ich meinem Onkel begeistert die Dias aus Kuba, worauf er mich wütend anschrie, das sei doch eine Diktatur wie damals beim Hitler „und wenn wir dem Gauleiter nicht den halben Grund des gesamten Besitzes „geschenkt“ hätten, dann wären wir gar nicht mehr hier und ich wäre nie auf die Welt gekommen“. Auf meine Frage hin, was denn dem Gauleiter geschenkt worden wäre, murmelte er nur „Na ja.., hmhm , Kyrnberg“. Damals verstand ich das leider noch nicht, aber es ist mir über all die Jahre hinweg im Gedächtnis hängen geblieben.
An der TU Wien studierte ich Raumplanung und wollte sofort danach in die Entwicklungshilfe gehen. 25 Jahre lang war ich in West- und Zentralafrika mit Projekten zu angepasster Technologie, Bewässerung, Waldschutz und Aufforstungsprojekten beschäftigt. Nur ab und zu flog ich in den Urlauben zu den Eltern nach Pyhra. Um das Jahr 2000 herum hatte die österreichische Regierung ein Abkommen mit den USA zur Restitution von noch verbliebenen arisierten Gütern unterzeichnet. Während eines Ausfluges nach Lunz fragte ich meine Mutter, wie die Geschichte mit dem Gauleitern denn damals gewesen sei, aber sie wollte sich nicht äußern. „Man solle nur nicht stirln“. Weiter bedrängen wollte ich sie nicht, ich war ja immer nur kurz zu Besuch.
Anfang 2004 starb sie dann mit 84 Jahren an einer plötzlichen Gehirnblutung. Nach dem Begräbnis, noch ganz in großer Trauer, beim Ausräumen ihrer Möbel, stieß ich zufällig auf eine große Anzahl an Schachteln, voll mit alten Briefen aus der Nazizeit. Sofort hatte sich ein neues Bild ergeben. Ich erfuhr, wie meine Mutter und ihre Geschwister ab 1938 immer wieder nach Berlin fahren mussten, um ihren „rassischen“ Status als „Mischlinge“ aufbessern zu lassen. Mit Personalien über die Herkunft der Ahnen, Fotos für eine Gesichtsvermessung, Interventionen befreundeter Wissenschaftler und Mittelsmänner – um so eine sich immer drohender ankündigende Deportation abzuwenden. Auch fand ich Unterlagen darüber, dass das Gut in Lunz an den Gauleiter „verkauft“ werden sollte, um Schulden tilgen zu können, und dass dieser Interesse daran gezeigt hatte. Seltsam war nur die Tatsache, dass eine Tilgung der Schulden nie stattgefunden hatte, denn das andere Lunzer Gut hatte ja noch bis lange nach dem Krieg mit großen Schulden zu kämpfen. Um der Sache auf den Grund zu gehen, saß ich während meiner Urlaube tagelang am Grundbuch und im Landesarchiv St. Pölten. Die dortigen Mitarbeiter unterstützen meine Suche, es waren aber sehr viele Dokumente verschwunden und nicht mehr auffindbar. 2005 schickte ich eine Darstellung all der dokumentierten Geschehnisse an den Entschädigungsfond der Regierung.
Es ließ mir keine Ruhe und ich recherchierte weiter. 2010 fand ich dann in Lunz, in einem alten Bienenhaus der Familie Ruttner (Prof. Ruttner war der damaligen Leiter der biologischen Station), eine Mappe mit Korrespondenzen mit Nazi-Behörden. Es ging um das Problem der Abstammung der Kupelwieser Kinder (also auch meiner Mutter), für die der Professor nach dem Tode ihres Vaters Hans Kupelwieser (meines Großvaters) als Vormund fungiert hatte. Auch diese Dokumente reichte ich nach.
Jahre später bekam ich die Antwort, dass mein Antrag auf Entschädigung abgelehnt wurde. Man ging zwar auf 120 Seiten anscheinend auf einige, aber nicht alle Argumente ein, bemängelte jedoch, dass es eben keinen eindeutigen Beweis für eine, wenn auch nur versteckte Enteignung, gäbe. Man meinte, ich hätte selber dafür zu sorgen, dass alle verjährten oder vernichteten Unterlagen und Belege über eventuell nicht erfolgte Zahlungen eingebracht würden. Dass, auch im Gegensatz zu früheren Prozessen, die „Beweislastumkehr“ hier nicht gelten würde. Und man verwies darauf, dass der Gauleiter als Beamter des „strengen“ Nazi-Regimes – unter Ausnutzung der antisemitischen Bedrängnis der Familie Kupelwieser infolge ihrer jüdischen Wurzeln – gar nicht die Möglichkeit gehabt hätte, sich das Gut mit einem vorgetäuschten und unter Zwang abgeschlossenen Kaufvertrag persönlich einzuverleiben. Na ja.
Ich fühlte mich gedemütigt, aber dagegen gab es kein Rechtsmittel, keine Möglichkeit auch nur irgendwie in Berufung zu gehen. Ebenso wurde ein zweiter Antrag, den ich mit Hilfe eines renommierten Historikers aus Wieselburg, der alles nochmals und viel genauer recherchiert hatte, einreichte, aus formalen Gründen abgelehnt.
All diese Recherchen einfach ad acta zu legen ist für mich nicht in Frage gekommen. So entschied ich mich, ein Buch darüber zu schreiben. 6 Verlage erteilten mir eine Absage. Dann stieß ich auf einen burgenländischen Verlag für Neuautoren, Novum, der aber im Vorfeld eine Finanzierung von mir verlangte. Nach einiger Zeit kontaktierten sie mich jedoch abermals und boten mir eine kostenlose Version an, da sie von der EU eine Förderung für solche ganz besonders interessante Geschichten bekommen hatten. Das hatte der damalige Bundeskanzler Schüssel ermöglicht, indem er dem Verlag einen Preis für das beste „Start-Up“ Unternehmen im Burgenland verliehen hatte. Diese EU geförderte Schiene nannte sich dann „United PC“.
In der Zwischenzeit hatten sich auch in Lunz interessante Kontakte ergeben. Dr. Maria Leichtfried kopierte mir alte Fotos aus der biologische Station, wo sie und ihr Mann Arnold früher gearbeitet hatten. Über das Internet lernte ich Dr. Hella Buchner-Kopper, eine weit entfernte Cousine kennen, die im Jahr 2000 an der Uni Klagenfurt eine Dissertation über den Maler Maximilian Lenz, der mit meiner Großtante Ida Lenz-Kupelwieser verheiratet gewesen war, verfasst hatte. Auch besuchte ich die Insel Brioni in Kroatien, die mein Urgroßonkel Paul Kupelwieser entwickelt hatte, welche später von Mussolini beschlagnahmt worden war. Dort konnte ich mit der zuständigen Archäologin Dr. Mira Pavletic, noch viele Dossiers und Fotos austauschen. Auch meine französischen Verwandten aus der ehemals jüdischen Familie der Gorodetzkys aus Chişinău in Moldawien, deren Großeltern 1904 nach den Pogromen aus Russland über Pyhra nach Paris ausgewandert waren, und die später oft nach Lunz zu Besuch kamen, kopierten mir Fotos und Berichte aus eigenen Beständen. Darunter die Geschichte der Ermordung des Bruders meiner Großmutter, Boris Gorodetzky, der 1942 aus Berlin nach Riga deportiert worden war. Diese meine Großmutter, Polya Kupelwieser, die 1956 starb und die ich sehr geliebt hatte, kam aus jener Mischpoke und hatte 1903 meinen Großvater Hans geheiratet. Sie hatte die Nazizeit nur mit viel Glück und beschützt von guten Freunden überlebt. Hans starb 1939 wegen der Diskriminierung der Familie und den ganzen Sorgen an Herzinfarkt. Ihr Erbe hatte sie dann gleich vorsichtshalber sofort an ihre Kinder übertragen. Auch eine andere entfernte Cousine aus der Familie Mautner Markhof, Christiana Schönborn-Buchheim, die 2018 leider verstarb, erzählte mir viel über ihre Kindheit in Brioni und zeigte großes Interesse an meinen Nachforschungen, obwohl auch in ihrer Familie nicht gerne darüber gesprochen worden war. Somit verfügte ich über ganz viel an Material, das nur darauf wartete, veröffentlicht zu werden.
Im Februar 2016 wurde die erste Auflage meines Buches vom „Aktionsradius Wien“ in der Arena Bar mit einer Lesung vorgestellt.
Ein weiterer Kontakt ergab sich zu Yvonne Illich aus Boston. Auch sie war eine, von ungerechten Entscheidungen Betroffene. Yvonne ist Nichte des berühmten kirchenkritischen Priesters und Pädagogen Ivan Illich. Ursprünglich aus Kroatien stammend, war seine Familie nach Wien gezogen, musste aber dann 1938, auf der Flucht vor den Nazis, ihre luxuriöse Villa Regenstreif in Pötzleinsdorf zurücklassen. Illich war über Italien nach Mexiko geflohen, wo er dann als Professor und Systemkritiker Ruhm erlangte. Auch Yvonnes Fall war von der engagierten Filmemacherin Burgl Czeitschner in ihrem Film „Let’s keep it“ thematisiert worden. Sie bekam von mir dann einige Exemplare der englischen Version meines Buches, eines davon deponierte sie im US Holocaust Memorial Museum in Washington.
Ich hatte mich bereits 2017 dazu entschieden, das Buch in Englisch herauszubringen. Ein erster Entwurf, den ich mit Hilfe einer Google Übersetzung erstellt hatte, wurde dank der freundlichen Unterstützung der pensionierten Biologin Dr. Mary Morris aus Ascot bei London, die zuvor 7 Jahre lang an der biologischen Station in Lunz gearbeitet hatte, gegen einen bescheidenen Energieausgleich für native English adaptiert und ebenfalls von meinem Verlag herausgebracht. Danach schickte ich die deutsche und englische Version zum Holocaust Memorial in Jerusalem nach Yad Vashem, wo man mich zu einem Besuch einlud, den ich erst 2019 antreten konnte.
Im Jänner 2018 war ich mit Unterstützung des Österreichischen Kulturforums zu einer Lesung von Secret Nazi Cold Test Station in die Wiener Holocaust Library nach London eingeladen worden. Frau Susan Antscherl hat diese mit ihrer viel besseren Aussprache für mich übernommen. Ihr Mann, Fred Antscherl, war 1938 als Kind zu einem bereits zuvor geflüchteten Onkel nach London gekommen. Seine Familie, jüdische Besitzer eines Sportgeschäftes in Scheibbs, waren deportiert und ermordet worden. Im Anschluss an die Lesung kam es noch zu einer lebhaften Diskussion.
2019, auf meiner Reise nach Israel, ergab sich ein Kontakt mit der Anwältin Martha Raviv, die als Kind mit ihrer Mutter mehrere Konzentrationslager überlebt hatte. Sie und andere Anwaltskollegen, darunter Doron Weissbrod, den auch Yvonne Illich kannte, beschäftigten sich mit der Erforschung noch ungeregelter Arisierungen in Österreich (The committee for equitable Holocaust property loss) und verfassten 2010 einen Brief an den damaligen Außenminister Spindelegger. Sie argumentierten, dass das gesamte nicht restituierte jüdische Eigentum mehrere Milliarden US-Dollar ausmache und nicht nur mit den vorgesehenen 210 Millionen Dollar kompensiert werden könnte! Leider blieben sie damit erfolglos.
Auch in Niederösterreich hat mein Buch, sowohl im Raum Pyhra, als auch in Lunz, Scheibbs etc., viel Anklang gefunden. Viele ältere Bewohner haben mich darauf angesprochen. Sogar einige Klassenkameraden aus St. Pölten hatten es gelesen und zeigten sich rückblickend über die Szenen aus der Schulzeit betroffen – wobei man aber übereinstimmt, dass das eben der damalige Zeitgeist war und wir als Kinder die Hintergründe noch gar nicht verstehen konnten.
So schließt sich der Kreis meiner Kindheit und Jugend. Viele Fragen bleiben offen, weil durch vollkommen unnötige Schuldgefühle, Scham und einer leider noch sehr unsensiblen beharrlichen Verwaltung niemand an einer wirklichen Aufarbeitung interessiert ist.
Über mein Leben wurde ich im City und Campus Radio der FH St. Pölten ausführlich interviewt.
Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) / Expert Panel, 25.01.2022
/in Projekte Entwicklungshilfe/von Hans GeisslhoferExpert panel 4 ILD, KLB / Satellitengestützter Schutz von Eigentum, Besitz und Klima in Ostafrika
Im Rahmen des Global Forum for Food and Agriculture veranstalteten der deutsche Internationale ländliche Entwicklungsdienst (ILD) und die Katholische Landvolkbewegung (KLB) im Februar 2022 eine Podiumsdiskussion in Berlin. Ich wurde sowohl zu dieser als auch zu einem Online-Referat eingeladen. Beides fand im Rahmen zur Internationalen Agrar-Ministerkonferenz mit Teilnehmern aus Afrika („Grüne Woche“) statt.
In diesem Online-Referat erklärte ich den Zusammenhang von Land Grabbing und verstärktem Klimawandel am Beispiel von Uganda und zeige Möglichkeiten auf, um mit Hilfe von Waldschutz, Aufforstung und Agroforstwirtschaft einen Beitrag zum globalen Klimaschutz zu leisten – ohne die ansässige Bevölkerung mit Großprojekten zu vertreiben!
CARITAS: Ausbildung und Beratung über angepasste Agroforstwirtschaft, Tschad 2019/2020
/in Projekte Entwicklungshilfe/von Hans GeisslhoferNdjamena / Tschad 2019/20: Ich unterrichtete die Mitarbeiter der Region am Tschadsee in der Handhabung einfacher GPS-Apps zur Lokalisierung von Aufforstungen und bewässerten Gemüsegärten sowie im Zeichnen von Landnutzungsplänen. Dies mit Hilfe einfacher Software auf Basis von geo-referenzierten eingepassten Satellitenbildern. Finanzierung fand durch den deutschen Caritasverband (DCV) statt, Ziel war die Auswertung von Umweltproblemen, Desertifikation und Überweidung sowie Konflikt-Management.
Diese Ausbildung und eine Beratung über angepasste Agroforstwirtschaft wird seitdem online mittels Zoom Konferenzen fortgesetzt.
Vortrag beim Niederösterreichischen Klima- und Bodenbündnis, 15.10.2020
/in Projekte Entwicklungshilfe/von Hans Geisslhofer„Bodenmanagement als Ernährungssicherung und Klimawandel-Anpassung in der Sahelzone“ war das Thema des Vortrages, zum dem ich als Senior Öko-Entwicklungshilfe Berater und Raumplaner im Rahmen des Niederösterreichischen Klima- und Bodenbündnis geladen war.
Der Vortrag behandelt meine Erfahrungen von den beiden Beratungseinsätzen (2018/19) zum Projekt der Entwicklungshilfe Organisation Horizont3000 in Zentral-Senegal. Inhalt war meine Arbeit bei der Landnutzungs-Planung mit Hilfe von GIS-Mapping anhand von vergrößerten Satellitenbildern und GPS-Daten. So konnten in einzelnen Dörfern Bewässerungs- und Aufforstungsprojekte partizipativ mit den Bauern und Bäuerinnen vor Ort geplant und somit der Übergang zu einer resilienten Agroforstwirtschaft ermöglicht werden.
Kupelwieser Familienschloss Seehof / Lunz am See
/in Familienchronik/von Hans GeisslhoferChristine Geisslhofer (geb. Kupelwieser) verzichtete auf ihr Lunzer Erbe (1/6-Anteil vom Gut Seehof/Hirschtal, welcher sich auf Peter Kupelwieser, Maria Kovar geb. Kupelwieser, Wilhelm, Peter und Elisabeth Mathes aufteilte) und behielt sich nur ein lebenslanges Wohn- und Genussrecht auf ihre Wohnung im Familienschloss, das auch auf ihre Söhne Hans und Alois überging. Im Gegenzug erhielt sie die Villa Heuberg/Pyhra mit umliegendem Grundstück, welche zuvor ebenfalls allen 6 Mitbesitzern gehört hatte.
Infos zum Schloss
Die Entstehungsgeschichte, Aus- und Nachwirkungen des Buches „Der Kältesee“
/in Buch Kältesee/von Hans GeisslhoferMein Bruder Alois († 2020) und ich wuchsen scheinbar unbehelligt von den Ereignissen, die sich in meiner Familie vor unserer Geburt zugetragen hatten, am Bauernhof unseres Vaters auf. Nur sein Zorn auf alle „Politiker“ und die Melancholie meiner Mutter hinsichtlich ihres verlorenen Status und dem enteignetem Gut waren immer spürbar gewesen.
Nach meiner Matura im Mai 1968 in St. Pölten, kam ich mit Freunden und Klassenkameraden oft und gerne ins heimatliche Lunz zurück, bestieg die umliegenden Berge und genoss den See. Aber es zog mich schon damals immer wieder hinaus in die Welt, in den Ferien trampte ich per Autostopp nach Italien, wo ich auch den Stromboli bestieg.
In den folgenden Jahren engagierte ich mich aktiv politisch sehr für die Dritte Welt, durfte schon während meiner Studienzeit an einer Arbeitsbrigade in Kuba teilnehmen und reiste bald danach für die Entwicklungshilfe nach Afrika, wo ich ein anstrengendes aber erfülltes Leben führte. Aus heutiger Sicht denke, ich, dass ich damals zum Teil auch unbewusst dem Familientrauma entfliehen wollte.
Erst als meine Mutter 2004 starb, fand ich in ihrem Nachlass viele Schachteln voller Briefe aus der NS-Zeit, aus denen hervorging, dass sie und ihre Geschwister oft nach Berlin gefahren waren, um eine „rassische Rückstufung“ erwirken zu können. Ebenso ging aus ihnen hervor, dass ein Kaufvertrag, den Familienbesitz Kyrnberg in Phyra betreffend, mit dem Gauleiter Hugo Jury aufgesetzt war, mit dem zunächst alles in Ordnung schien. Das hatte mich erstaunt, denn es war zwar offensichtlich, dass die Familie die Nazis überlebt hatte, jedoch das Gut Kyrnberg war weder im Familienbesitz, noch wurde jemals ein Kaufpreis erstattet. Nach dem Krieg war es zuerst von den Sowjets beschlagnahmt und danach an das Land Niederösterreich übertragen worden. Einfach so, als ob es niemals Vorbesitzer gegeben hätte. All das war sang und klanglos in Vergessenheit geraten – bis ich begann die Korrespondenz und Unterlagen meiner Mutter aufzuarbeiten.
Durch meine fast 20-jährigen Recherchen und mit unentgeltlicher Hilfe eines akribischen lokalen Historikers wurde der Fall noch zwischen 2019 und 2022 neu aufgearbeitet: Hintergrund dazu war, dass zu Beginn der 2000er Jahre von der damaligen Regierung, auf Druck der USA, ein Entschädigungsfonds eingerichtet wurde, der solche Fälle begutachtete. Ich reichte dort 2006 eine Darstellung ein, bekam aber 2012 eine Ablehnung meines Ansuchens, obwohl ich viele Beweismaterialien beigefügt hatte. 2016 wurde die Angelegenheit dann von der engagierten Filmemacherin und ehemaligen ORF Redakteurin Burgl Czeitschner in ihrem Film „Let’s keep it“ / Der Fall Kupelwieser diskutiert.
In der Zwischenzeit hatte ich bereits auch mein Buch „Der Kältesee“ veröffentlicht. Darüber auf mich aufmerksam geworden, kontaktierte mich Wolf Garcia, ein frühpensionierter Staatsschutz-Kommissar aus Salzburg, welcher parallel zu den Massakern an Gefangenen und Zwangsarbeitern im südlichen Mostviertel/Niederösterreichs, zwischen Göstling, Lackenhof, Gaming und Scheibbs forschte. Dort hatten sich die Reste der deutschen Wehrmacht konzentriert, um noch nach dem Tode Hitlers seinem letzten Befehl Rückzug in die Alpenfestung Folge zu leisten. Als ihnen dann die Amerikaner angeboten hatten, sich ohne Waffen und Munition über die Enns in den amerikanischen Sektor zu ergeben, versenkten sie all das im Lunzer See und den umliegenden Flüssen. Und die Gefangenen wurden kurzerhand erschossen und vergraben. Mein Mitstreiter konnte zwar keine Überreste mehr finden, aber viele verborgene Hinweise, dass manche Skelette erst 1955 nach dem Staatsvertrag klammheimlich „entsorgt“ worden waren.
Da Frau Czeitschner in ihrem Film das tragische Ende des Gauleiters erwähnt hatte: Selbstmord am 9.5.1945, in Zwettl, seitdem verscharrt an der Außenseite des dortigen Friedhofs, ergab sich mir bei der Gelegenheit die Frage, ob auch er immer noch dort ruhte. Zu meinem Erstaunen fand ich jedoch einen Eintrag im Internet, laut dem er seit 1955 im Zentralfriedhof begraben sei. So forschte ich weiter und tatsächlich liegt er dort mit seiner Frau Karoline und dem Ehepaar Fehringer, ohne seinen Titel als Gauleiter oder sonstige Hinweise auf sein Leben.
Und siehe da, genannte Gertrude Fehringer war die Tochter des Gauleiters, somit war Dr. Fehringer sein Schwiegersohn. Eine weitere Recherche ergab, dass ebendieser Arzt Anton Fehringer als Leiter eines Sanatoriums Gutachter für die Euthanasie-Verbrechen der Nazis war. Dort wurden im Schnellverfahren mittels einfacher Bewertungsbögen („Begutachtung in den Tod“ – Das Meldebogenverfahren, Seite 55) behinderte Kinder und Jugendliche in den Tod geschickt und diese Arbeit wurde mit einigen hundert Reichsmark großzügig honoriert. Bei weiterer gründlicher Suche fanden wir heraus, dass Fehringer ab 1938 vom Gauleiter Jury zum Leiter des arisierten Sanatoriums in Rekawinkel bestellt wurde, und auch Leiter der Abteilung für Erb- und Rassenkunde im Reichsgau Niederdonau war (die Deportationen behinderter Minderjähriger sollen zwar 1941 wegen dem dadurch verursachten Unmut in der Bevölkerung wieder eingestellt worden sein).
Fazit: Während der Besatzungszeit wäre eine Umbettung aufgefallen, erst danach wurde sie möglich. So ruhen friedlich zwei schlimme Nazi-Kriegsverbrecher friedlich am Zentralfriedhof. Den Titel Gauleiter hat man dabei vorsichtshalber weggelassen – die Identität von Opfern und Tätern wurde gleichermaßen vollkommen verdrängt!
NEUE BEWERTUNG UND AUFARBEITUNG DURCH HISTORIKER IST ERFORDERLICH
Alles wirft ein vernichtendes Licht auf die Familie des Gauleiters, diese Verbrechen waren nur durch seine persönliche Unterstützung möglich! Ebenso wie bei unserer verhinderten Entschädigung wurde auch dabei seit nunmehr 8 Jahrzehnten absolut nichts aufgearbeitet.
Im „Let`s keep it“-Ausschnitt zu meinem Fall sagt Prof. Aicher von der Schiedsinstanz des Allgemeinen Entschädigungsfonds er würde sich bei mir entschuldigen (wofür?) aber ich hätte eben nicht verstanden, dass der Gauleiter zwar in einem Unrechtsstaat wie dem Nationalsozialistischen agiert hatte, aber eben doch in einem so strengen System, welches es ihm gesetzlich nicht erlaubte, unser Gut Kyrnberg für sich zu enteignen. Also getarnt durch einen Fake-Kaufvertrag, den er einer jüdisch-stämmigen Familie abgepresst hatte ohne die Kaufsumme zu bezahlen. Somit wäre dieser jedenfalls entlastet, also folglich ich im Unrecht und hätte somit keine Forderung auf Entschädigung zu stellen!
EIN BEKENNTNIS ZUR ÖFFENTLICHEN VERANTWORTUNG ALS RECHTSNACHFOLGER DIESER VERBRECHERISCHEN NS-VERWALTUNG STEHT NOCH AUS.
Das Schicksal unserer Familie verdient eine detaillierte gründliche Untersuchung. Kein Rechtsweg kann mehr beschritten werden und offiziell ist eigentlich alles verjährt. Es war ein außergerichtliches Verfahren, aber da diese Schiedsentscheidung nur eine Empfehlung war, liegt der Ball nunmehr beim Land Niederösterreich.
Mir selbst geht es darum, jede willkürliche Verdächtigung eines eventuell unlauteren Motives zu verbieten.
Der Landesregierung würde ich jedoch eindringlich empfehlen, alles zu unternehmen, damit man durch Wegschauen nicht unter Verdacht der Verharmlosung des Nationalsozialismus gerät!
So könnte man danach vielleicht zu einer einvernehmlichen Lösung kommen.
Ida Kupelwieser und Maximilian Lenz
/in Familienchronik/von Hans GeisslhoferIda Josepha Johanna Kupelwieser (1870 – 1927) war Tochter von Dr. jur. Carl (1841 – 1925) und seiner Frau Ottilie Ida Bertha, geb. Wittgenstein (1844 – 1909) sowie Schwester von Paula und Hans Kupelwieser. Da sie sehr musikalisch war, wurde sie von George Henschel in London unterrichtet. Am Ende entschied sie sich, Künstlerin zu werden und erhielt ab 1904 Privatunterricht bei Maximilian Lenz (1860 – 1948), einem bedeutenden Wiener Künstler, Sezession-Mitbegründer und Gustav Klimt Freund. Unter seiner Anleitung entwickelte sich ihr Stil hin zu Landschaften, Genreszenen, Interieurs und Stillleben. 1926 heirateten Lehrer und Schülerin, doch bereits einige Monate später wurde Ida durch einen Schlaganfall plötzlich aus dem Leben gerissen. Lenz und Ida hatten in Lunz, Pyhra und Brioni gemeinsam viel gemalt.
Auszüge aus den von Dr. Hella Buchner-Kopper (Großnichte und Biographin des Malers) transkribierten originalen „Erinnerungen“ von Max Lenz:
„Es war im Herbst 1904, als ich in das stattliche Schloss der Familie Kupelwieser einzog. Carl Kupelwieser besaß noch mehrere Besitzungen und ich durfte meine Schülerin auch begleiten. So kam ich auf das Gut Kyrnberg, nach Pörtschach und Brioni, außerdem in die Wiener Stadtwohnung … Sein Landgut Kyrnberg liebte er besonders, er hielt sich dort eine große Herde Braunvieh und Haflingerpferde. Wenn der Frühling kam, dann konnte ihn nichts aufhalten, er musste nach Kyrnberg, um die Obstblüte zu erleben. … Einer der interessantesten Menschen, welchem ich in meinem Leben begegnet bin, ist der Bruder des Herrn Carl Kupelwieser, Generaldirektor Paul Kupelwieser, der Besitzer der Brionischen Inseln bei Pola, im Adriatischen Meer. Landschaftlich ist Brioni unerhört schön. Meine liebe Schülerin, Fräulein Ida Kupelwieser und ich haben dort viel gemalt.
Es war ein lieber Aufenthalt in Brioni. Der liebe Besitzer mit seiner Familie war neben der Naturschönheit ein Anziehungspunkt. Dann war eine kleine, aber illustre Gesellschaft da. Der Psychiater Obersteiner, der Biologe Sigmund Exner von Erwarten, der Ingenieur Alfred Collmann, Dr. Knidl usw. Es war eine Familie, konnte man sagen. Nachdem der Andrang von Gästen kam, Paul Kupelwieser wollte doch endlich auch eine Einnahme haben, entschloss sich Herr Dr. Karl Kupelwieser eine Villa zu bauen, weit entfernt von dem Getriebe der Gäste und fand wieder, seinem guten Geschmack folgend einen schönen Platz. Die Villa lag in Punto-Roso, direkt am Meere und man hatte im Hause das Empfinden, auf Hoher See zu sein. Anstoßend an die Villa hatte Herr Dr. Kupelwieser für seinen Sohn eine Biologische Station eingerichtet, kurz er hatte wiederum einen Besitz mehr, der im Laufe des Jahres auch bewohnt werden musste. Natürlich waren dort, in Brioni, die Brüder unzertrennlich. Eine solche Bruderliebe habe ich nie zuvor gesehen … Paul Kupelwieser schuf an seinem Werk unentwegt weiter. Die Erzherzoge kamen und die Insel wurde immer berühmter. Für uns beiden Maler natürlich höchst unangenehm, die poetische Stimmung war dahin. Der arme Paul Kupelwieser hatte dann durch Erzherzog Ferdinand-Este viel zu leiden, aber trotzdem waren die Kupelwiesers die allerbesten Patrioten.
Nach dem schrecklichen Tode der Frau Kupelwieser nimmt die Tochter sich ihres gebrochenen Vaters an … Sie widmet sich ganz dem Vater. Freilich, ihre Kunst hatte sie damit nicht aufgegeben, dazu war sie viel zu viel Künstlerin … In dieser Zeit machte ich mir den Schwur, das Fräulein Kupelwieser in dieser riesigen Aufgabe zu unterstützen und tat es auch, soweit es in meiner Macht gelegen war. Ich war nun ständig in diesem lieben, gastfreundlichen Hause aufgenommen … Nach dem Tode des alten Herrn (Carl Kupelwieser), schwur ich mir, das Fräulein Kupelwieser nicht mehr zu verlassen, ihr alter Freund und Beschützer zu sein. Unsere Freundschaft währte nun 22 Jahre, sie wurde nie getrübt und wir standen in gegenseitiger Hochachtung zusammen. Diese Freundschaft war rein ideell…. Mein Bestreben war, das Fräulein möglichst stark mit Arbeit zu beschäftigen. Sie malte dann (meist malten „Lehrer und Schülerin“ Seite an Seite“) ganz prächtige Bilder…“
Nach dem Tod seiner geliebten Ida Kupelwieser-Lenz, die ihm ihren 1/6 Anteil an den Gütern Kyrnberg und Lunz/Seehof vermachte, wollte er sich diesen Anteil herauslösen lassen. Allerdings kam es durch den Gau Niederdonau schon 1938 zur Beschlagnahmung des Gutes Kyrnberg, da der „rassische“ Status der Familie Kupelwieser ungeklärt war.
Ein Jahr später, als sich die Mitbesitzer, die Geschwister Kupelwieser und Mathes ihren „Mischlingsstatus“ von den NS Behörden gesichert hatten, wurde das Gut dann auf Druck des Gauleiters an den Gau „verkauft“, wobei aber eine Auszahlung des Kaufpreises nirgends nachgewiesen werden kann, und am anderen Gut in Lunz am See bis nach dem Krieg weiterhin noch Hypotheken lasteten. Lenz wäre damit auf einen Schlag relativ vermögend geworden. Dem war aber nicht der Fall. Er wohnte weiterhin im Jagdhof, aber im Winter nur ein einer kleinen Kammer, weil er sich kein Heizmaterial leisten konnte. Als er 1939 sein Testament machte, erwähnte er, dass sich „das Gut im Verkauf“ befände, und er gegebenenfalls seinen Nachlass noch ergänzen würde, was aber nicht mehr geschah. Die rote Armee besetzte dann Kyrnberg, das als Besitz des Gauleiters, und deshalb als deutsches Eigentum galt. Sie durchsuchten den Jagdhof bis ins letzte Detail und bedrohten ihn und seine Haushälterin, aber nachdem ein deutschsprachiger Offizier sich vergewissert hatte, dass von dem alten Mann keine Gefahr ausging, ließen sie wieder von ihm ab.
Lenz verbrachte seine letzten Lebensjahre in völliger Armut, stellte ein Hilfsansuchen an die Vereinigung österreichischer Künstler und verdiente sich eine wenig Nahrung in Naturalien, indem der den Bauern der Umgebung Bilder über ihre Feldarbeit malte. Der Jagdhof wurde dann von der Familie Kupelwieser nach dem Krieg verkauft, um die Erben nach Maximilian Lenz auszahlen zu können. Denn die Kupelwieser hatten ebenfalls keine Bezahlung ihrer Anteile am Gut Kyrnberg bekommen, weder vom Reichsgau noch danach vom Land Niederösterreich, das das Gut der landwirtschaftlichen Schule zuteilte, die schon 1913 von Carl Kupelwieser gestiftet worden war.
Persönliche Aufarbeitung der Familiengeschichte
/in Buch Kältesee/von Hans GeisslhoferAufgewachsen am Bauernhof meines Vaters, streifte ich als Kind mit meinem Hund Alfi gerne durch die Natur, musste aber auch bei der Arbeit der Eltern mithelfen. Oben am Waldrand waren noch Schützengräben vom Weltkrieg, dorthin lief ich dann immer, wenn mir die Erwachsenen auf die Nerven gingen. Die Mutter sorgte sich jedes Mal wegen möglicher Granaten, die auch schon öfter explodiert waren. Dahinter lag das große Gut Kyrnberg, das jetzt von der NÖ-Landwirtschaftsschule bewirtschaftet wird und welches uns früher mal gehört hatte. Mein Vater fluchte, dass sich dort die Politiker fette Posten geschaffen hätten, aber sich nicht um die Sorgen der einfachen Leute kümmerten.
Dann, in der Mittelschule in St. Pölten wurde ich als 12-jähriger Schüler eigenartigerweise als „Jud“ diskriminiert und von den Mitschülern gemobbt, was ich überhaupt nicht verstanden hatte. Aus dem Religionsunterricht wusste ich nur, dass die Juden Jesus getötet hätten, aber dafür konnte ich ja nun wirklich nichts …
In den Sommerferien, in Lunz am See, bei meinen Verwandten, der Familie Kupelwieser, war es immer sehr schön. Mein Bruder und ich wanderten mit der Mutter am Berg, ab und zu kam man an verlassenen Hütten vorbei, wo noch verrostete Motorenteile lagerten. Angeblich ließ Hitler seine Panzermotoren über eine Materialseilbahn hinaufbefördern, um sie dort auf die Kälteverträglichkeit der Motoröle prüfen zu lassen. Das war in der Senke des Grünlochs, auf 1300 m, unterhalb des Dürrensteins, wo sich durch Temperaturumkehr in eisigen Winternächten manchmal ein Kältesee bildete, in dem dann minus 50 Grad gemessen wurden …
Das Schloss Seehof in Lunz, wo Mutter noch einen sechstel Anteil besaß, war vornehmer als der Bauernhof, aber die Leute etwas steif und man stritt oft heftig über Finanzen, Schulden und was weiß ich noch. Früher wären sie halt reich gewesen, jetzt sei alles so mühsam. Aus den Kindern aber – also aus uns – sollte dann später jedoch wieder „was“ werden! So begann ich 1968 das obligate Studium in Wien.
Doch dem Zeitgeist entsprechend wurden aus uns bald „linke Hippies“, die sich mehr über den Hunger und die Ungerechtigkeiten in der Welt sorgten und ständig die Professoren beim Unterricht unterbrachen, als große Karrieren anzustreben. So schloss ich mich 1973 dann auch gleich einer „Brigade“ nach Kuba an. Dort arbeiteten wir am Bau einer Landarbeitersiedlung und diskutierten über deren „tropischen Sozialismus“ im Gegensatz zum Neokolonialismus im übrigen Südamerika. Abends schlurften wir Cuba Libre und Daiquiri und tanzten mit den Genossinnen Salsa, Son und Merengue zu afro-kubanischen Rhythmen.
Zurück in Lunz zeigte ich meinem Onkel begeistert die Dias aus Kuba, worauf er mich wütend anschrie, das sei doch eine Diktatur wie damals beim Hitler „und wenn wir dem Gauleiter nicht den halben Grund des gesamten Besitzes „geschenkt“ hätten, dann wären wir gar nicht mehr hier und ich wäre nie auf die Welt gekommen“. Auf meine Frage hin, was denn dem Gauleiter geschenkt worden wäre, murmelte er nur „Na ja.., hmhm , Kyrnberg“. Damals verstand ich das leider noch nicht, aber es ist mir über all die Jahre hinweg im Gedächtnis hängen geblieben.
An der TU Wien studierte ich Raumplanung und wollte sofort danach in die Entwicklungshilfe gehen. 25 Jahre lang war ich in West- und Zentralafrika mit Projekten zu angepasster Technologie, Bewässerung, Waldschutz und Aufforstungsprojekten beschäftigt. Nur ab und zu flog ich in den Urlauben zu den Eltern nach Pyhra. Um das Jahr 2000 herum hatte die österreichische Regierung ein Abkommen mit den USA zur Restitution von noch verbliebenen arisierten Gütern unterzeichnet. Während eines Ausfluges nach Lunz fragte ich meine Mutter, wie die Geschichte mit dem Gauleitern denn damals gewesen sei, aber sie wollte sich nicht äußern. „Man solle nur nicht stirln“. Weiter bedrängen wollte ich sie nicht, ich war ja immer nur kurz zu Besuch.
Anfang 2004 starb sie dann mit 84 Jahren an einer plötzlichen Gehirnblutung. Nach dem Begräbnis, noch ganz in großer Trauer, beim Ausräumen ihrer Möbel, stieß ich zufällig auf eine große Anzahl an Schachteln, voll mit alten Briefen aus der Nazizeit. Sofort hatte sich ein neues Bild ergeben. Ich erfuhr, wie meine Mutter und ihre Geschwister ab 1938 immer wieder nach Berlin fahren mussten, um ihren „rassischen“ Status als „Mischlinge“ aufbessern zu lassen. Mit Personalien über die Herkunft der Ahnen, Fotos für eine Gesichtsvermessung, Interventionen befreundeter Wissenschaftler und Mittelsmänner – um so eine sich immer drohender ankündigende Deportation abzuwenden. Auch fand ich Unterlagen darüber, dass das Gut in Lunz an den Gauleiter „verkauft“ werden sollte, um Schulden tilgen zu können, und dass dieser Interesse daran gezeigt hatte. Seltsam war nur die Tatsache, dass eine Tilgung der Schulden nie stattgefunden hatte, denn das andere Lunzer Gut hatte ja noch bis lange nach dem Krieg mit großen Schulden zu kämpfen. Um der Sache auf den Grund zu gehen, saß ich während meiner Urlaube tagelang am Grundbuch und im Landesarchiv St. Pölten. Die dortigen Mitarbeiter unterstützen meine Suche, es waren aber sehr viele Dokumente verschwunden und nicht mehr auffindbar. 2005 schickte ich eine Darstellung all der dokumentierten Geschehnisse an den Entschädigungsfond der Regierung.
Es ließ mir keine Ruhe und ich recherchierte weiter. 2010 fand ich dann in Lunz, in einem alten Bienenhaus der Familie Ruttner (Prof. Ruttner war der damaligen Leiter der biologischen Station), eine Mappe mit Korrespondenzen mit Nazi-Behörden. Es ging um das Problem der Abstammung der Kupelwieser Kinder (also auch meiner Mutter), für die der Professor nach dem Tode ihres Vaters Hans Kupelwieser (meines Großvaters) als Vormund fungiert hatte. Auch diese Dokumente reichte ich nach.
Jahre später bekam ich die Antwort, dass mein Antrag auf Entschädigung abgelehnt wurde. Man ging zwar auf 120 Seiten anscheinend auf einige, aber nicht alle Argumente ein, bemängelte jedoch, dass es eben keinen eindeutigen Beweis für eine, wenn auch nur versteckte Enteignung, gäbe. Man meinte, ich hätte selber dafür zu sorgen, dass alle verjährten oder vernichteten Unterlagen und Belege über eventuell nicht erfolgte Zahlungen eingebracht würden. Dass, auch im Gegensatz zu früheren Prozessen, die „Beweislastumkehr“ hier nicht gelten würde. Und man verwies darauf, dass der Gauleiter als Beamter des „strengen“ Nazi-Regimes – unter Ausnutzung der antisemitischen Bedrängnis der Familie Kupelwieser infolge ihrer jüdischen Wurzeln – gar nicht die Möglichkeit gehabt hätte, sich das Gut mit einem vorgetäuschten und unter Zwang abgeschlossenen Kaufvertrag persönlich einzuverleiben. Na ja.
Ich fühlte mich gedemütigt, aber dagegen gab es kein Rechtsmittel, keine Möglichkeit auch nur irgendwie in Berufung zu gehen. Ebenso wurde ein zweiter Antrag, den ich mit Hilfe eines renommierten Historikers aus Wieselburg, der alles nochmals und viel genauer recherchiert hatte, einreichte, aus formalen Gründen abgelehnt.
All diese Recherchen einfach ad acta zu legen ist für mich nicht in Frage gekommen. So entschied ich mich, ein Buch darüber zu schreiben. 6 Verlage erteilten mir eine Absage. Dann stieß ich auf einen burgenländischen Verlag für Neuautoren, Novum, der aber im Vorfeld eine Finanzierung von mir verlangte. Nach einiger Zeit kontaktierten sie mich jedoch abermals und boten mir eine kostenlose Version an, da sie von der EU eine Förderung für solche ganz besonders interessante Geschichten bekommen hatten. Das hatte der damalige Bundeskanzler Schüssel ermöglicht, indem er dem Verlag einen Preis für das beste „Start-Up“ Unternehmen im Burgenland verliehen hatte. Diese EU geförderte Schiene nannte sich dann „United PC“.
In der Zwischenzeit hatten sich auch in Lunz interessante Kontakte ergeben. Dr. Maria Leichtfried kopierte mir alte Fotos aus der biologische Station, wo sie und ihr Mann Arnold früher gearbeitet hatten. Über das Internet lernte ich Dr. Hella Buchner-Kopper, eine weit entfernte Cousine kennen, die im Jahr 2000 an der Uni Klagenfurt eine Dissertation über den Maler Maximilian Lenz, der mit meiner Großtante Ida Lenz-Kupelwieser verheiratet gewesen war, verfasst hatte. Auch besuchte ich die Insel Brioni in Kroatien, die mein Urgroßonkel Paul Kupelwieser entwickelt hatte, welche später von Mussolini beschlagnahmt worden war. Dort konnte ich mit der zuständigen Archäologin Dr. Mira Pavletic, noch viele Dossiers und Fotos austauschen. Auch meine französischen Verwandten aus der ehemals jüdischen Familie der Gorodetzkys aus Chişinău in Moldawien, deren Großeltern 1904 nach den Pogromen aus Russland über Pyhra nach Paris ausgewandert waren, und die später oft nach Lunz zu Besuch kamen, kopierten mir Fotos und Berichte aus eigenen Beständen. Darunter die Geschichte der Ermordung des Bruders meiner Großmutter, Boris Gorodetzky, der 1942 aus Berlin nach Riga deportiert worden war. Diese meine Großmutter, Polya Kupelwieser, die 1956 starb und die ich sehr geliebt hatte, kam aus jener Mischpoke und hatte 1903 meinen Großvater Hans geheiratet. Sie hatte die Nazizeit nur mit viel Glück und beschützt von guten Freunden überlebt. Hans starb 1939 wegen der Diskriminierung der Familie und den ganzen Sorgen an Herzinfarkt. Ihr Erbe hatte sie dann gleich vorsichtshalber sofort an ihre Kinder übertragen. Auch eine andere entfernte Cousine aus der Familie Mautner Markhof, Christiana Schönborn-Buchheim, die 2018 leider verstarb, erzählte mir viel über ihre Kindheit in Brioni und zeigte großes Interesse an meinen Nachforschungen, obwohl auch in ihrer Familie nicht gerne darüber gesprochen worden war. Somit verfügte ich über ganz viel an Material, das nur darauf wartete, veröffentlicht zu werden.
Im Februar 2016 wurde die erste Auflage meines Buches vom „Aktionsradius Wien“ in der Arena Bar mit einer Lesung vorgestellt.
Ein weiterer Kontakt ergab sich zu Yvonne Illich aus Boston. Auch sie war eine, von ungerechten Entscheidungen Betroffene. Yvonne ist Nichte des berühmten kirchenkritischen Priesters und Pädagogen Ivan Illich. Ursprünglich aus Kroatien stammend, war seine Familie nach Wien gezogen, musste aber dann 1938, auf der Flucht vor den Nazis, ihre luxuriöse Villa Regenstreif in Pötzleinsdorf zurücklassen. Illich war über Italien nach Mexiko geflohen, wo er dann als Professor und Systemkritiker Ruhm erlangte. Auch Yvonnes Fall war von der engagierten Filmemacherin Burgl Czeitschner in ihrem Film „Let’s keep it“ thematisiert worden. Sie bekam von mir dann einige Exemplare der englischen Version meines Buches, eines davon deponierte sie im US Holocaust Memorial Museum in Washington.
Ich hatte mich bereits 2017 dazu entschieden, das Buch in Englisch herauszubringen. Ein erster Entwurf, den ich mit Hilfe einer Google Übersetzung erstellt hatte, wurde dank der freundlichen Unterstützung der pensionierten Biologin Dr. Mary Morris aus Ascot bei London, die zuvor 7 Jahre lang an der biologischen Station in Lunz gearbeitet hatte, gegen einen bescheidenen Energieausgleich für native English adaptiert und ebenfalls von meinem Verlag herausgebracht. Danach schickte ich die deutsche und englische Version zum Holocaust Memorial in Jerusalem nach Yad Vashem, wo man mich zu einem Besuch einlud, den ich erst 2019 antreten konnte.
Im Jänner 2018 war ich mit Unterstützung des Österreichischen Kulturforums zu einer Lesung von Secret Nazi Cold Test Station in die Wiener Holocaust Library nach London eingeladen worden. Frau Susan Antscherl hat diese mit ihrer viel besseren Aussprache für mich übernommen. Ihr Mann, Fred Antscherl, war 1938 als Kind zu einem bereits zuvor geflüchteten Onkel nach London gekommen. Seine Familie, jüdische Besitzer eines Sportgeschäftes in Scheibbs, waren deportiert und ermordet worden. Im Anschluss an die Lesung kam es noch zu einer lebhaften Diskussion.
2019, auf meiner Reise nach Israel, ergab sich ein Kontakt mit der Anwältin Martha Raviv, die als Kind mit ihrer Mutter mehrere Konzentrationslager überlebt hatte. Sie und andere Anwaltskollegen, darunter Doron Weissbrod, den auch Yvonne Illich kannte, beschäftigten sich mit der Erforschung noch ungeregelter Arisierungen in Österreich (The committee for equitable Holocaust property loss) und verfassten 2010 einen Brief an den damaligen Außenminister Spindelegger. Sie argumentierten, dass das gesamte nicht restituierte jüdische Eigentum mehrere Milliarden US-Dollar ausmache und nicht nur mit den vorgesehenen 210 Millionen Dollar kompensiert werden könnte! Leider blieben sie damit erfolglos.
Auch in Niederösterreich hat mein Buch, sowohl im Raum Pyhra, als auch in Lunz, Scheibbs etc., viel Anklang gefunden. Viele ältere Bewohner haben mich darauf angesprochen. Sogar einige Klassenkameraden aus St. Pölten hatten es gelesen und zeigten sich rückblickend über die Szenen aus der Schulzeit betroffen – wobei man aber übereinstimmt, dass das eben der damalige Zeitgeist war und wir als Kinder die Hintergründe noch gar nicht verstehen konnten.
So schließt sich der Kreis meiner Kindheit und Jugend. Viele Fragen bleiben offen, weil durch vollkommen unnötige Schuldgefühle, Scham und einer leider noch sehr unsensiblen beharrlichen Verwaltung niemand an einer wirklichen Aufarbeitung interessiert ist.
Über mein Leben wurde ich im City und Campus Radio der FH St. Pölten ausführlich interviewt.
Die gescheiterte Restitution des Gutes Kyrnberg der Familie Kupelwieser
/in Buch Kältesee/von Hans Geisslhofer2014 feierte die Landwirtschaftliche Fachschule Pyhra ihren 100-jährigen Bestand. Sie hat eine bewegte Geschichte. Und ein Jubiläum ist wohl Anlass genug, in diese Geschichte Einblick zu nehmen. In diesem kurzen Abriss geschieht das, um dabei die Stifterfamilie Kupelwieser, ihre Bedeutung und ihr Schicksal zu würdigen. Klarerweise ist es in einer historischen Rückschau wichtig, sich auf verlässliche Quellen zu berufen und dabei auch unangenehmen Details nicht auszuweichen. …
Indienreise der Paula Kupelwieser, 1906
/in Familienchronik/von Hans GeisslhoferPaula Kupelwieser wurde am 13. Februar 1875 in Wien als Tochter von Dr. jur. Carl Kupelwieser (1841 – 1925) und seiner Frau Ottilie Ida Bertha, geb. Wittgenstein (1844 – 1909), geboren. Im Jahr 1899 ehelichte sie den k.u.k. Major Ernst Maria Franz Mathes (1869 – 1914). Sie hatten vier Kinder: Peter (*1900), Wilhelm (*1902), Elisabeth (*1903) und Engelbert (*1904). Ernst, inzwischen Oberstleutnant, wurde 1914 im Kampf getötet. Nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 1925 erbte sie 40 % des Familienguts Seehof in Lunz, Niederösterreich und verbrachte dort zusammen mit ihrem Bruder Hans den Rest ihres Lebens. Den Großteil ihres Vermögens verlor sie durch den Finanzcrash von 1929. Sie starb am 21. September 1938.
1906 unternahm sie mit Schwester Ida und Vater Carl mit dem Dampfschiff eine Reise nach Indien. Zur selben Zeit war Iihr Bruder Hans mit seiner frisch angetrauten Frau Polya in den USA unterwegs gewesen. Die Hochzeitsreise wurde auch für einen Besuch bei seinem Doktorvater Jacques Loeb an der Universität Berkley/Kalifornien genutzt, wo er seine Dissertation über Seesterne fertig gestellt hatte. Der Brief an ihn war also um die halbe Welt gereist, bis ich ihn 2004, nach dem Tod meiner Mutter, im Zuge der Übersiedlung einiger Porzellanstücke, Gemälde und Möbel von Phyra nach Lunz, in einem ihrer Bücher entdeckte. Er stellt ein sehr authentisches Zeugnis über die weltoffene Einstellung der Familie dar.
Reisebericht der Paula Kupelwieser über die Indienreise mit ihrem Vater Carl und ihrer Schwester Ida an ihren Bruder Hans, Februar 1906. Aus dem Nachlass der Christine Geisslhofer
Ida malte während der Reise viele Bilder, nur wenige sind erhalten geblieben.
Lebens-und Überlebenskunst der Kupelwieser
/in Familienchronik/von Hans GeisslhoferDer Aufsatz von Univ.-Prof. Dr. Margret Friedrich/Institut für Geschichtswissenschaften u. Europäische Ethnologie Universität Innsbruck, aus dem Jahr 2000, wurde in vollständiger Form (einem Stammbaum und allen Fußnoten) im Buch von Hannes Stekl, Stekl (Hg.): Bürgerliche Familien. Lebenswege im 19. und 20. Jahrhundert.- Wien 2000. S. 35 – 73. Verlag Böhlau veröffentlicht.