Die Entstehungsgeschichte, Aus- und Nachwirkungen des Buches „Der Kältesee“
Mein Bruder Alois († 2020) und ich wuchsen scheinbar unbehelligt von den Ereignissen, die sich in meiner Familie vor unserer Geburt zugetragen hatten, am Bauernhof unseres Vaters auf. Nur sein Zorn auf alle „Politiker“ und die Melancholie meiner Mutter hinsichtlich ihres verlorenen Status und dem enteignetem Gut waren immer spürbar gewesen.
Nach meiner Matura im Mai 1968 in St. Pölten, kam ich mit Freunden und Klassenkameraden oft und gerne ins heimatliche Lunz zurück, bestieg die umliegenden Berge und genoss den See. Aber es zog mich schon damals immer wieder hinaus in die Welt, in den Ferien trampte ich per Autostopp nach Italien, wo ich auch den Stromboli bestieg.
In den folgenden Jahren engagierte ich mich aktiv politisch sehr für die Dritte Welt, durfte schon während meiner Studienzeit an einer Arbeitsbrigade in Kuba teilnehmen und reiste bald danach für die Entwicklungshilfe nach Afrika, wo ich ein anstrengendes aber erfülltes Leben führte. Aus heutiger Sicht denke, ich, dass ich damals zum Teil auch unbewusst dem Familientrauma entfliehen wollte.
Erst als meine Mutter 2004 starb, fand ich in ihrem Nachlass viele Schachteln voller Briefe aus der NS-Zeit, aus denen hervorging, dass sie und ihre Geschwister oft nach Berlin gefahren waren, um eine „rassische Rückstufung“ erwirken zu können. Ebenso ging aus ihnen hervor, dass ein Kaufvertrag, den Familienbesitz Kyrnberg in Phyra betreffend, mit dem Gauleiter Hugo Jury aufgesetzt war, mit dem zunächst alles in Ordnung schien. Das hatte mich erstaunt, denn es war zwar offensichtlich, dass die Familie die Nazis überlebt hatte, jedoch das Gut Kyrnberg war weder im Familienbesitz, noch wurde jemals ein Kaufpreis erstattet. Nach dem Krieg war es zuerst von den Sowjets beschlagnahmt und danach an das Land Niederösterreich übertragen worden. Einfach so, als ob es niemals Vorbesitzer gegeben hätte. All das war sang und klanglos in Vergessenheit geraten – bis ich begann die Korrespondenz und Unterlagen meiner Mutter aufzuarbeiten.
Durch meine fast 20-jährigen Recherchen und mit unentgeltlicher Hilfe eines akribischen lokalen Historikers wurde der Fall noch zwischen 2019 und 2022 neu aufgearbeitet: Hintergrund dazu war, dass zu Beginn der 2000er Jahre von der damaligen Regierung, auf Druck der USA, ein Entschädigungsfonds eingerichtet wurde, der solche Fälle begutachtete. Ich reichte dort 2006 eine Darstellung ein, bekam aber 2012 eine Ablehnung meines Ansuchens, obwohl ich viele Beweismaterialien beigefügt hatte. 2016 wurde die Angelegenheit dann von der engagierten Filmemacherin und ehemaligen ORF Redakteurin Burgl Czeitschner in ihrem Film „Let’s keep it“ / Der Fall Kupelwieser diskutiert.
In der Zwischenzeit hatte ich bereits auch mein Buch „Der Kältesee“ veröffentlicht. Darüber auf mich aufmerksam geworden, kontaktierte mich Wolf Garcia, ein frühpensionierter Staatsschutz-Kommissar aus Salzburg, welcher parallel zu den Massakern an Gefangenen und Zwangsarbeitern im südlichen Mostviertel/Niederösterreichs, zwischen Göstling, Lackenhof, Gaming und Scheibbs forschte. Dort hatten sich die Reste der deutschen Wehrmacht konzentriert, um noch nach dem Tode Hitlers seinem letzten Befehl Rückzug in die Alpenfestung Folge zu leisten. Als ihnen dann die Amerikaner angeboten hatten, sich ohne Waffen und Munition über die Enns in den amerikanischen Sektor zu ergeben, versenkten sie all das im Lunzer See und den umliegenden Flüssen. Und die Gefangenen wurden kurzerhand erschossen und vergraben. Mein Mitstreiter konnte zwar keine Überreste mehr finden, aber viele verborgene Hinweise, dass manche Skelette erst 1955 nach dem Staatsvertrag klammheimlich „entsorgt“ worden waren.
Da Frau Czeitschner in ihrem Film das tragische Ende des Gauleiters erwähnt hatte: Selbstmord am 9.5.1945, in Zwettl, seitdem verscharrt an der Außenseite des dortigen Friedhofs, ergab sich mir bei der Gelegenheit die Frage, ob auch er immer noch dort ruhte. Zu meinem Erstaunen fand ich jedoch einen Eintrag im Internet, laut dem er seit 1955 im Zentralfriedhof begraben sei. So forschte ich weiter und tatsächlich liegt er dort mit seiner Frau Karoline und dem Ehepaar Fehringer, ohne seinen Titel als Gauleiter oder sonstige Hinweise auf sein Leben.
Und siehe da, genannte Gertrude Fehringer war die Tochter des Gauleiters, somit war Dr. Fehringer sein Schwiegersohn. Eine weitere Recherche ergab, dass ebendieser Arzt Anton Fehringer als Leiter eines Sanatoriums Gutachter für die Euthanasie-Verbrechen der Nazis war. Dort wurden im Schnellverfahren mittels einfacher Bewertungsbögen („Begutachtung in den Tod“ – Das Meldebogenverfahren, Seite 55) behinderte Kinder und Jugendliche in den Tod geschickt und diese Arbeit wurde mit einigen hundert Reichsmark großzügig honoriert. Bei weiterer gründlicher Suche fanden wir heraus, dass Fehringer ab 1938 vom Gauleiter Jury zum Leiter des arisierten Sanatoriums in Rekawinkel bestellt wurde, und auch Leiter der Abteilung für Erb- und Rassenkunde im Reichsgau Niederdonau war (die Deportationen behinderter Minderjähriger sollen zwar 1941 wegen dem dadurch verursachten Unmut in der Bevölkerung wieder eingestellt worden sein).
Fazit: Während der Besatzungszeit wäre eine Umbettung aufgefallen, erst danach wurde sie möglich. So ruhen friedlich zwei schlimme Nazi-Kriegsverbrecher friedlich am Zentralfriedhof. Den Titel Gauleiter hat man dabei vorsichtshalber weggelassen – die Identität von Opfern und Tätern wurde gleichermaßen vollkommen verdrängt!
NEUE BEWERTUNG UND AUFARBEITUNG DURCH HISTORIKER IST ERFORDERLICH
Alles wirft ein vernichtendes Licht auf die Familie des Gauleiters, diese Verbrechen waren nur durch seine persönliche Unterstützung möglich! Ebenso wie bei unserer verhinderten Entschädigung wurde auch dabei seit nunmehr 8 Jahrzehnten absolut nichts aufgearbeitet.
Im „Let`s keep it“-Ausschnitt zu meinem Fall sagt Prof. Aicher von der Schiedsinstanz des Allgemeinen Entschädigungsfonds er würde sich bei mir entschuldigen (wofür?) aber ich hätte eben nicht verstanden, dass der Gauleiter zwar in einem Unrechtsstaat wie dem Nationalsozialistischen agiert hatte, aber eben doch in einem so strengen System, welches es ihm gesetzlich nicht erlaubte, unser Gut Kyrnberg für sich zu enteignen. Also getarnt durch einen Fake-Kaufvertrag, den er einer jüdisch-stämmigen Familie abgepresst hatte ohne die Kaufsumme zu bezahlen. Somit wäre dieser jedenfalls entlastet, also folglich ich im Unrecht und hätte somit keine Forderung auf Entschädigung zu stellen!
EIN BEKENNTNIS ZUR ÖFFENTLICHEN VERANTWORTUNG ALS RECHTSNACHFOLGER DIESER VERBRECHERISCHEN NS-VERWALTUNG STEHT NOCH AUS.
Das Schicksal unserer Familie verdient eine detaillierte gründliche Untersuchung. Kein Rechtsweg kann mehr beschritten werden und offiziell ist eigentlich alles verjährt. Es war ein außergerichtliches Verfahren, aber da diese Schiedsentscheidung nur eine Empfehlung war, liegt der Ball nunmehr beim Land Niederösterreich.
Mir selbst geht es darum, jede willkürliche Verdächtigung eines eventuell unlauteren Motives zu verbieten.
Der Landesregierung würde ich jedoch eindringlich empfehlen, alles zu unternehmen, damit man durch Wegschauen nicht unter Verdacht der Verharmlosung des Nationalsozialismus gerät!
So könnte man danach vielleicht zu einer einvernehmlichen Lösung kommen.